Die Prophezeihung by wintergoettin | World Anvil Manuscripts | World Anvil
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Prolog Kapitel 1 - Unfreiwilliges Aufeinandertreffen Kapitel 2 - Beschauliche Abendgesellschaft

Craydon
Ongoing 4119 Words

Kapitel 1 - Unfreiwilliges Aufeinandertreffen

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Neun Jahre später ...

Stahl schlug auf Stahl und ein helles Klingeln ertönte. Die Männer umkreisten einen jungen blonden Burschen auf einer Lichtung und gingen gleichzeitig auf ihn los. Doch wendig duckte er sich weg und versetzte einem der Kerle einen Stoß, sodass er in den Zweiten hinein stolperte.
Er lachte die Männer aus, die immer wilder wurden. Ihre Gesichter verzerrten sich vor Wut und sie gaben ihre Deckung auf. Das nutzte der Junge aus und schnitt seinem Gegenüber fast sanft über den Handrücken. Dieser ließ seine Waffe fallen und umklammerte kreischend die Hand.
Die Zähne des Burschen blitzten auf, als er wölfisch grinste. Die grünen Augen leuchteten und er traf den Nächsten mit der Breitseite seiner Klinge an der Schläfe. Der Dritte stürzte auf ihn zu. Nur knapp entging er der Enthauptung und drehte den Oberkörper weg. Der Schwung reichte, um ihn an der rechten Schulter zu verletzen. 
Er knurrte kurz, bekam die Haare des Einen zu fassen und hielt ihm sein Schwert an den Hals. Plötzlich durchfuhr ihn ein Schauer. Eine außergewöhnliche Präsenz näherte sich. Er sah die zwei Männer mit eisigem Blick an und verstärkte den Druck der Klinge an der Kehle des Dritten. Kalt erklang die hohe, aber doch melodiöse Stimme auf der Lichtung.
»Macht euch vom Acker und lasst euch hier nicht mehr sehen. Und seid froh, dass ich heute einen guten Tag habe und euch euer Leben lasse.«
Vorsichtig fuhr die scharfe Schneide über die Haut des Gefangenen und ritzte sie leicht. Er ließ ihn los und schubste ihn zu seinen Kumpanen. Eilig ergriffen sie die Flucht.
Die Nackenhaare stellten sich ihm inzwischen auf. Ein Fremder näherte sich von hinten. Langsam bückte er sich und nahm einen Stein. Blitzschnell drehte er sich um und warf. Ein Wiehern erklang, dann ein kurzer Schrei und Stille. Die Präsenz der Person ließ schlagartig nach.
»Scheiße«, murmelte der Bursche und ging mit gezückten Waffen in die Richtung. Ein Zweig wurde bei Seite geschoben und auf dem moosigen Boden lag ausgestreckt ein schwarzhaariger Mann. Seine Kleidung sah edel aus. Wieder fluchte der Junge und steckte die Schwerter weg. Neben ihm nieder knieend, fuhr er sich durch seine honiggoldenen Haare. Blut sickerte dem Ohnmächtigen in die lange schwarze Mähne. Er trug sie im Nacken zusammengebunden, stellte er etwas verwundert fest. Lange Haare waren schon seit einiger Zeit aus der Mode.
»Verflucht, warum muss immer ich so ein ausgesprochenes Glück haben?«
Dann sah er sich um und entdeckte einen pechschwarzen Hengst nicht weit entfernt. Der Junge ging auf das edle Tier zu und stellte anerkennend fest, dass es ausgezeichnet zu seinem Reiter passte. Den Blick abwendend näherte er sich dem Ross und als er die Zügel ergriff, strich er sanft über den Hals und die Schulter des schwarzen Riesen.
»Komm mit, mein Schöner, wir müssen deinen Herrn hier wegbringen.«
Der Hengst ließ sich widerspruchslos neben seinen Reiter führen. Er pfiff, damit seine eigene Stute zu ihm kam. Nachdem sein eigener Schimmel direkt bei dem Jungen stand, ließ er sie in die Knie gehen, damit er den bewusstlosen Körper auf den Pferderücken heben konnte. Der Mann war äußerst schwer und der Schnitt in der Schulter schien stärker zu bluten, obwohl es nur ein Kratzer war.
»Na komm schon«, stöhnte er und bugsierte den Fremden endlich auf die Stute. Als das Tier wieder stand, schwang er sich ebenfalls auf das schneeweiße Pferd. Dann begab er sich in Richtung seines Heimes und der Schwarze folgte dem Trio.

Auf dem Hof angekommen, steuerte der Junge die Pferdestallungen an. Urias kam dem Reiterpaar entgegen und öffnete die Tore. Verwundert blickte er ihn mit seinen grünen Augen an.
»Du bringst Besuch mit, Gabby?«
»Du sollst mich nicht so nennen, und wenn du meinst, dass es Besuch ist, dann bitte schön. Ich habe ihn eher unfreiwillig ausgeknockt.«
Damit stieg Gabrielle, der vermeintliche Junge, aus dem Sattel. Als der Hengst heran war und Urias die Zügel ergreifen wollte, schnappte das Tier nach ihm.
»Hey, hey Junge, ganz ruhig, wir werden dir nichts tun«, raunte sie, beugte sich etwas aus dem Sattel und ergriff die Zügel.
»Bringst du unseren Gast bitte auf mein Zimmer? Ich werde mir für heute Nacht einen anderen Schlafplatz suchen. Da ich ihn so unfreundlich begrüßt habe, biete ich ihm wenigstens den Komfort meines Bettes.«
Urias nickte und wollte den Mann vom Pferd heben, als er entsetzt auf keuchte und dann Gabrielle ansah. Er flucht verhalten und schulterte den Bewusstlosen.
»Dir ist klar, dass dir dein Bruder den Kopf abreißen wird?«
Sie zog eine Augenbraue nach oben und legte ebendiesen zur Seite.
»Wie?«
Urias verlagerte den Körper etwas auf seiner Schulter.
»Du hast die rechte Hand vom Duke of Llewellyn ins Land der Träume geschickt.«
Er sah, dass sie erbleichte und hart schluckte.
»Verflucht! Sag mir, dass das nicht wahr ist.«
»Ich fürchte doch. Ich bring ihn mal auf dein Zimmer, er ist ziemlich schwer«, machte sich Urias auf den Weg ins Hauptgebäude. Gabrielle stand kurz wie zur Salzsäule erstarrt, dann führte sie die Pferde in den Stall. Sie stellte den Hengst in die Box neben Flöckchen, nahm den Tieren die Sättel ab und rieb sie trocken.
Wieder fuhr sie sich durch die Haare und verfluchte sich innerlich. Der Vertraute des Dukes. Heute schien ihr Pechtag zu sein. Erst geriet sie mit ihrem Bruder aneinander, am Nachmittag wollten sich ein paar Willardsons mit ihr prügeln und dann musste dieser schwarzhaarige Unglücksbringer auftauchen. Als sie zum Brunnen ging, um sich Hände und Gesicht zu waschen, ließ sie alle Vorsicht fahren. Gefühle aller Art strömten auf sie ein, nachdem sie ihren mentalen Schild gesenkt hatte. 
Da war Eloria, sie schien sich um ihren unfreiwilligen Gast zu kümmern, da sie ihre Sorge spürte. Die plötzlich aufkeimende Wut ihres Bruders, da er von dem edlen Besucher erfuhr. Sein Jähzorn schien eine hellrote Wand zu sein und sich auf direktem Weg zu ihr zu befinden. Urias dagegen strahlte Mitleid aus und sie konnte das violett fast schmecken. Sie seufzte matt und setzte sich auf den Brunnenrand. Das Unvermeidliche geschah jetzt in jedem Falle.
Genau in diesem Moment wurde sie unsanft an der verletzten Schulter gepackt und zuckte nur kurz. Ihr Kopf flog unfreiwillig herum und unweigerlich kam das Brennen an der Stelle, an der ihr Bruder sie getroffen hatte. Aus dem Gleichgewicht gebracht, landete sie im Staub und schmeckte Blut.
»Bist du von allen guten Geistern verlassen? Weißt du, was passieren wird? Du bist viel zu ungestüm und Vater hat dir immer wieder viel zu viel durchgehen lassen.«
Gabrielle hörte nicht mehr ernsthaft hin. Sie spürte seinen Zorn selbst noch, als sie sich längst abschirmte. Mühsam erhob sie sich und stellte sich vor ihren Bruder hin. Mit versteinerter Miene musterte sie ihn und er starrte mit blitzenden blauen Augen zurück.
»Hast du eigentlich eine Ahnung …«
»Nein«, unterbrach sie ihn mit kalter Stimme, »aber ich werde mit ihm reden und ihm klar machen, dass ich allein sämtliche Verantwortung für mein Handeln übernehmen werde.« 
Damit wandte sie sich um und ging in Richtung Haus.
Leonidas allerdings wollte sie nicht so glimpflich davonkommen lassen. Er kochte vor Wut, das konnte sie deutlich spüren. Erneut packte er sie wieder an der rechten Schulter. Schmerzvoll aufstöhnend drehte sie diese weg. Erst jetzt sah er sie genau an.
»Was ist passiert? Und bitte sag mir nicht, dass unser Gast etwas damit zu schaffen hat.«
Sie schüttelte den Kopf und antwortete mit brüchiger Stimme.
»Nein, ein paar Leute von Willardson haben mir im Wald aufgelauert. Er kam zufällig dazu, vermutlich hat er den Kampf gehört. Ich spürte ihn und warf einen Stein in seine Richtung, weil ich nicht wusste, wer oder was es war. Leider traf ich ihn wohl am Kopf. Ich bin selbst nicht begeistert und jetzt lass mich bitte. Ich will Eloria nach meiner Schulter sehen lassen.«
Erst jetzt sah sie auf ihr Hemd und erkannte mit Erschrecken, dass der Schnitt tiefer war, als sie dachte. Der Stoff war dunkelrot gefärbt und an einigen Stellen schon bräunlich von eingetrocknetem Blut. Leonidas nickte nur und fuhr sich durch die Haare.
»Ich will mit dir sprechen. Umgehend, nachdem du mit Sir Dyke geklärt hast, was passieren soll. Sobald er wach ist, werde ich mich dann bei ihm für die Unannehmlichkeiten entschuldigen.«
Gabrielle nickte und ging ins Haus. Als sie vor ihrem Zimmer stand verharrte ihre Hand kurz über der Klinke. Sie zitterte und konnte sich nicht erklären, warum. Letztendlich drückte sie das Metall nach unten und öffnete vorsichtig. Ihre jüngere Schwester war damit beschäftigt, Sir Dyke einen Verband um den Kopf zu wickeln. Als sie Schritte hörte, drehte sie sich um und ihre runden Augen wurden groß wie Murmeln.
»Gabb, was ist mit deinem Gesicht passiert? Du blutest.«
Sie winkte ab und wusste, dass sich Leonidas Handabdruck deutlich auf ihrer hellen Haut abzeichnete und die Lippe eingerissen war.
»Halb so wild, aber schau dir bitte meine Schulter an. Ich hatte im Wald einen Zusammenstoß.«
Eloria sah kurz zu Gabrielles Schulter und verdrehte die Augen. Als sie mit dem Verband von Sir Dyke fertig war, zog sie eine dünne Decke über ihn und wandte sich dann ihrer Schwester zu.
»Zieh das Hemd aus, damit ich mir den Schaden ansehen kann.«
Widerspruchslos zog sie Besagtes aus und setzte sich lautlos hin. Sie schaute zum Vertrauten des Dukes und musterte sein Profil. Seine langen Wimpern, die lange gerade Nase und der männlich sinnliche Mund luden förmlich dazu ein, von zarten Lippen berührt zu werden. Vermutlich konnte er sich vor Frauen kaum retten. Ein Mundwinkel verzog sich nach oben, als sie daran dachte und gleichzeitig wurde sie traurig. Welch ein bequemes und sorgloses Leben er wohl führen mochte.
Als ein stechender Schmerz ihre Schulter durchzuckte, sah sie Eloria an und lächelte leicht, dann schloss sie die Augen und blieb bewegungslos sitzen.
»Wenn ich nicht nähe, wirst du eine hässliche Narbe zurückbehalten«, grummelte ihre Schwester in einem fast miesepeterigen Ton. Sie zog die Nase kraus und nahm eine kleine gebogene Nadel und etwas Faden zur Hand. Gabrielle lehnte sich zurück und zwang sich still halten.
»Noch mehr hässliche Narben?«
Sie grinste breit. 
»Meinst du, die würden mich noch mehr entstellen, obwohl ich schon so grauslich aussehe?«, lachte sie leise und Eloria schlug sie gespielt vor die Brust.
»Du weißt genau wie ich das meine Gabb und jetzt hör auf zu lachen. Ich will, dass du eine schöne und keine hässliche Narbe bekommst«, grinste nun auch Eloria. Nachdem Sie fertig mit Nähen war, wollte Gabrielle aufstehen, schwankte jedoch.
»Setz dich. Ich hole dir etwas Frisches zum Anziehen und trink bitte«, hörte sie die sorgenvolle Stimme, während ihr ein Becher in die Hand gedrückt wurde. Dankbar ließ sich Gabrielle wieder nieder, trank gierig und schloss die Augen. Sie musste weg gedöst sein, denn sie schreckte hoch, als Eloria erneut ins Zimmer kam und ihr ein Stoffbündel gab. Gabrielle nickte und schaute dann in die Richtung ihres belegten Bettes.
»Was ist mit ihm? Ist sein Kopf schlimm verletzt?«
»Nein, ich denke nicht. Zwar hat das, was ihn verletzt hat, einen kleinen Kratzer hinterlassen, jedoch ist es nichts Ernsthaftes. Die Beule ist zwar hässlich, aber nicht von Dauer. Vielleicht wird er Kopfschmerzen haben, aber das sollte schon alles sein.«
Sie lächelte und reichte Gabrielle einen weiteren Becher Wasser.
»Trink. Du hast einiges an Blut verloren und die Flüssigkeit muss ausgeglichen werden.«
Damit verließ sie das Zimmer und überließ sie ihren eigenen Gedanken. Sie stierte den Mann in ihrem Bett an und runzelte die Stirn, dann hob sie das Trinkgefäß an ihre Lippen und trank gedankenverloren. Schließlich wickelte sie den Stoff um ihren Oberkörper ab, der zur Kaschierung ihrer Brüste diente. Viel war dort nicht, wie sie fand. Ihre Schwester mit ihren 15 Jahren sah schon wesentlich weiblicher aus, als sie selbst.
Sie zog sich wieder an und warf alsdann alles neben die Tür, damit es gewaschen werden konnte. Von ihrem Nachttisch angelte sie sich ihr Buch und las mit leiser Stimme. Letztlich schloss sie die Augen und schlief im Sessel ein. 

Er öffnete die Augen und hatte bärenmäßige Kopfschmerzen. Als sich sein Blick klärte, schaute er an eine fremde Decke. Überhaupt erschien ihm die komplette Umgebung vollkommen fremd. Bei seiner Bestandsaufnahme registrierte er die spärliche Einrichtung, erfreute sich aber an dem breiten und überaus weichen Bett. Auf einem kleinen Schränkchen häuften sich Bücher neben einem Wasserkrug. Am Fenster stand ein Tisch mit einem recht unbequem aussehenden Stuhl und links daneben ein großer Schrank. Neben seinem Bett war ein gemütlicher Sessel platziert, in dem ein Junge saß. Ein Buch lag offen auf seinem Bauch und der Kopf war leicht zur Seite geneigt. Der Bursche saß nicht, sondern schlief vielmehr.
Alexius setzte sich auf und griff sich an den Kopf. Weder das eine noch das andere war gut, denn die Schmerzen schienen von innen gegen seinen Schädel zu pickern, so als würden sie sich jeden Moment den Weg in die Außenwelt bahnen. Er verzog das Gesicht, dennoch blieb er sitzen. Beim Erforschen seiner Erinnerung prallte er wieder auf eine Wand pickernder Minenarbeiter, die ihm das Leben zur Hölle machen wollten. Letzten Endes gab er es auf, da er immerhin noch wusste, wer er war. 
Erneut musterte er den Jungen mit seinem honiggoldenen langen Haar. Er hatte einen Zopf geflochten, der ihm über die Schulter hing und seine fein geschnittenen Züge feminin wirken ließ. Die Lippe war von einem Schlag aufgesprungen und entstellte ihn etwas. Vom Wuchs her schien er nicht sonderlich groß oder gar kräftig zu sein, trotzdem strahlte er selbst im Schlaf eine gewisse Rastlosigkeit aus. 
Alexius streckte eine Hand aus, um eine Strähne aus dem Gesicht des Kleinen zu streichen. Er kam nicht weit, denn als er die seidig weichen Haare berührte, sprang der Junge hoch und stieß ihn gegen die Brust. Aus dem Gleichgewicht geraten, fiel er hinten über und landete wieder auf dem Bett. Vorher unbewaffnet, hatte sein Gegenüber einen Langdolch in der Linken. Die Klinge, so lang wie sein Unterarm, endete an seiner Kehle und seine Kopfschmerzen schienen vergessen.  

Gabrielle stand da und sah sich verschlafen um. Dann fiel ihr wieder ein, wo sie war und wen sie da unsanft auf sein Hinterteil befördert hatte. Schnell senkte sie ihren Langdolch und steckte ihn in die Scheide an der Hüfte. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, daher räusperte sie sich und wandte den Blick ab, der kurz in strahlend blaue Augen fiel. In diesen Augen hätte man ertrinken können, dachte sie und beugte das Knie. 
»Sir Dyke. Es tut mir Leid, sollte ich Euch erschreckt haben. Es lag nicht in meiner Absicht Euch anzugreifen, weder jetzt noch vor einigen Stunden im Wald.«
So kniete sie da und wartete, dass etwas passierte. Sie hörte Stoff rascheln, hörte aber keine Antwort. Gabrielle wurde nervös und sie spürte seine tiefe Neugier. Irgendetwas an diesem Mann war anders. Aus der Ruhe gebracht sprach sie hastig weiter.
»Sollte mein Verhalten Konsequenzen nach sich ziehen, so werde ich allein die volle Verantwortung dafür übernehmen.«
Sie verfiel wieder in Schweigen und hoffte, dass er etwas sagte. Vorsichtig ließ sie ihren geistigen Schutz fallen, um Alexius Dykes Gefühle zu erspüren. Es änderte sich nichts und seine Überraschung, Zweifel und Schmerz war genauso deutlich wahrnehmbar wie zuvor. Indessen steigerte sich seine brennende Neugier von Minute zu Minute. Als sie dies bemerkte, sah sie zu ihm auf und sein Gesicht war unmittelbar vor ihrem. 
Ein stechend blauer Blick bohrte sich in ihre moosgrünen Augen. Sie wollte fast zurückschrecken, doch zwang sie sich, so zu verharren wie sie war. Er ließ sich auf das Bett sinken und nickte ihr zu. Dies nahm sie als Zeichen und setzte sich in den Sessel, nachdem sie das Buch vom Boden aufhob und auf den Nachttisch legte. Weiterhin schweigsam saß ihr Sir Dyke gegenüber.
»Möchtet Ihr etwas trinken?«, fragte Gabrielle dann in die Stille und goss sich einen Becher Wasser ein, nur um diesen sogleich zu vernichten. Erneut füllte sie ihn und sah ihn direkt an. Er musterte sie und ein leichtes Lächeln spielte um seine Lippen. Sie hob fragend die Brauen, blieb aber sonst still.
»Wer bist du?«, platzte er plötzlich heraus. Seine Stimme war samtig und tief, fast wie das Schnurren einer Katze. Unwillkürlich schien sie zu erschauern und erkannte mit einer erschütternden Klarheit, dass er ein tiefes Interesse an ihr hegte. Gabrielle fluchte innerlich, bevor sie antwortete.
»Bitte verzeiht, dass ich vergaß, mich vorzustellen, Sire. Ich heiße Gabriel Mayfield. Ihr befindet euch auf dem Land von Leonidas Mayfield, meinem Bruder.« 
Sie deutete ein Nicken an, dann trank sie ein paar Schlucke. Wieder wanderten die Augen von Sir Dyke an ihr auf und ab, als versuche er Sachen zu ergründen die sie vorzugsweise im Verborgenen lassen würde.
»Sehr erfreut. Ich nehme an, du weißt, wer ich bin? Natürlich weißt du es, du hast mich ja schon beim Namen genannt«, merkt er mit leichtem Spott in der Stimme an.
Gabrielle nickte und sah ihn weiter unverwandt an, als sie einen weiteren Zug nahm. Seine Stimme war unglaublich anziehend und innerlich erschauerte sie bei dessen Klang. Um sich abzulenken, leerte sie den Becher. Jetzt zeigten seine Mundwinkel ein deutliches Lächeln.
»Entweder du bist sehr mutig oder aber ...«
»Sehr dumm?«, fiel sie ihm ins Wort, zog einen Mundwinkel nach oben und zuckte wegen der aufgesprungenen Lippe. Sir Dyke lachte laut und griff sich an den Kopf. Gabrielle grinste kurz, wurde aber schlagartig wieder ernst. Sie wusste nicht, was sie von ihm halten sollte. Die Hand am Verband, sah er Gabrielle in die Augen.
»Also Gabriel, wie kommt es, dass ich hier bin und nicht auf meinem Pferd?«
Sie räusperte sich leicht und fing leise an zu sprechen, um ihm die Geschichte etwas geschönt darzulegen.
»Eigentlich rechnete ich damit, ein Waldtier zu vertreiben, jedoch sah ich Euch dann im Gras liegen. Entweder habe ich euer Pferd erschreckt oder aber euren Kopf getroffen«, endete sie lahm. 
»Ich wollte Euch dort nicht liegen lassen, also brachte ich Euch hierher. Meine Schwester versorgte die Wunde. Sie meinte vorhin, dass es sein kann, dass Euch Kopfschmerzen plagen. Diese sollten allerdings nicht lange anhalten.« 
Bevor er etwas erwidern konnte, sprach sie hastig weiter.
»Es tut mir wie gesagt leid, da ich nicht beabsichtigt habe, euch zu verletzen. Solltet ihr Vergeltung fordern, so fordert sie bitte ausschließlich von mir, da meine Familie nichts damit zu tun hatte.« 
Jetzt schwieg sie und senkte ihren Blick. Gespielt interessiert starrte sie auf den Boden ihres Bechers und bewegte ihn sacht hin und her.
»Wo ist Thunder?«, fragte Gabrielles Gegenüber unvermittelt. Sie sah auf und runzelte kurz die Stirn.
»Der Name ist passend. Wenn Ihr möchtet, können wir in den Stall gehen. Dann könnt Ihr Euch gern davon überzeugen, dass es ihm gut geht.« 
Gabrielle stand schnell auf und schwankte leicht. Scheinbar hatte sie doch mehr Blut durch den Schnitt verloren, als sie gedacht hatte. Fast augenblicklich spürte sie zwei große warme Hände auf den Schultern und zuckte zusammen. Es war, als würde sie vom Blitz getroffen werden.
»Es ... geht schon, danke.« 
Machte sie sich von ihm los und schritt zur Tür.

Er ließ die Arme sinken und folgte Gabriel. Interessiert musterte er den Jungen vor sich und sein Blick blieb immer wieder an der Waffensammlung hängen, die er mit sich herum trug. Schweigend gingen sie durch das Haus und traten auf den Hof hinaus. Es war später Nachmittag und die Sonne hing schwer über dem Horizont.
Gabriel strebte auf die Stallungen zu und öffnete die Tür. Ihm wurde der Vortritt gelassen und als sein Begleiter das Innere des Stalles betrat, schien er mehrfach tiefer durchzuatmen, so als wäre hier die Welt in Ordnung. 
»Ich habe Thunder neben Flöckchen untergebracht. Die beiden scheinen sich zu mögen.«
»Ich hoffe, Flöckchen ist kein Hengst.« 
Grinste er breit und Gabriel sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an, dann verdrehte er die Augen. Der Junge ging voran und als er den schwarzen Riesen sah, schlug er die Lider leicht nieder und näherte sich dem stolzen Tier.
»Nicht, er wird ...« 
Streckte er seine Hand aus, ließ sie aber wieder sinken und beobachtete das Schauspiel vor sich. Langsam näherte sich der Bursche seinem wilden Vollblut und murmelte beruhigende Worte. Als er hörte, wie der Junge »na mein Schöner« sagte, wünschte er sich fast, dass er selbst an der Stelle seines Hengstes wäre. Aber das war vollkommen albern.
Als Gabriel direkt neben dem Pferd stand, tätschelte er dessen Schulter und legte seine Hände um den Hals von Thunder.
»Du bist genauso edel wie dein Reiter, mein Schöner. Ihr passt gut zusammen«, murmelte er und Alexius blieb in diesem Augenblick die Spucke weg. Noch nie hatte er jemanden erlebt, der so mit seinem Hengst umging. Das Pferd selbst schien den blonden Jungen an der Schulter tätscheln zu wollen und er wurde eindeutig eifersüchtig auf ein Tier. Das war schlicht und ergreifend ausgeschlossen. Er war eifersüchtig auf sein Pferd? Zum Henker hatte der Stein gegebenenfalls seinen Verstand beschädigt?
Er schüttelte den Kopf und trat dann langsam näher. Ein leichtes Grinsen lag auf seinem Gesicht, als er sich das Paar anschaute. Helle Haut und honigfarbenes Haar vor einem schwarzen Hengst. Plötzlich wurde Alexius von hinten an der Schulter angestupst. Eine Schimmelstute wollte scheinbar seine Aufmerksamkeit. Er lachte leise.
»Ich nehme an, das ist Flöckchen?«, fragte er Gabriel verhalten. Er nickte nur. Kurz darauf ging er wieder auf den Hauptgang des Stalles hinaus und sah nach links und rechts. Alexius sah ihn fragend an, da sein Gegenüber schlagartig ernst wurde.
»Sire, ich möchte Euch anbieten, die heutige Nacht hier zu verbringen. Da es schon spät ist, würdet Ihr vermutlich erst mitten in der Nacht auf dem Schloss eintreffen. Es ist meine Schuld, dass ihr verletzt wurdet, also ist es das Mindeste, dass ich dafür sorge, dass ihr eine sichere Unterkunft habt. Thunder geht es gut und er ist versorgt. Nehmt Ihr mein Angebot an, oder wollt ihr nach Llewellyn reiten?« 

Gabrielle hielt beinah die Luft an, so gespannt erwartete sie seine Antwort. Am liebsten war es ihr, er würde verschwinden. Die Gastfreundschaft verbot es ihr, auch nur daran zu denken. Ihn ohne zu zögern aus dem Haus zu werfen, hätte ihren Bruder endgültig ausrasten lassen. Zumal es wahrhaftig ihre Schuld war, dass er hier war.
Alexius trat ebenfalls aus der Box und stellte sich dicht vor sie. Leicht nach unten gebeugt sah er Gabrielle an. 
»Ich werde dein Angebot gern annehmen. Du hast dich auch sehr gut um Thunder gekümmert. Es überrascht mich ehrlich gesagt ein bisschen, dass er dich überhaupt in seine Nähe lässt. Normalerweise duldet er niemanden außer mir.« Kurz zuckte er seine Schultern »Und eventuell noch den Stallburschen«, lachte er verhalten.
Gabrielle verdrehte die Augen und zog die Schultern ebenfalls nach oben. Als der Schmerz hinein fuhr, hob sie ihre Linke und rieb leicht darüber. Sie seufzte leise.
»Ich werde meinem Bruder Bescheid sagen.«
Sie wollte nichts herauf beschwören, musste aber trotzdem nochmals fragen. Leo würde sonst die Wände hoch gehen und sie hatte keine Antwort erhalten.
»Was ist wegen der Sache im Wald? Da ich euch unabsichtlich verletzte, möchte mein Bruder gern wissen, ob etwas geschehen soll. Er hat mir sogar eine runter gehauen.« 
Lachte Gabrielle kalt und freudlos. Alexius sah sie skeptisch an und runzelte die Stirn. Seine Gedanken konnte man förmlich auf diesem Faltengebirge ablesen.
»Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Eigentlich sollte ich wohl ziemlich ungehalten sein, allerdings nehme ich die Übernachtung und deine Entschuldigung an. Von daher ist von meiner Seite her jegliche Schuld beglichen. Bis auf …«

Er musterte Gabriel wieder von oben bis unten. Aus Männern machte sich Alexius nichts. Sein Gegenüber hatte indes etwas an sich, das er schwer greifen konnte. Bei der Musterung schien dieser unwillkürlich in den Schatten zurückzuweichen. Leise erklang seine Stimme und Alexius ging hinterher, drängte ihn förmlich an die Scheunenwand. 
»Verlangt nicht, was ich Euch nicht geben kann, Sire.« 
Gabriels Stimme schien ihm nicht mehr gehorchen zu wollen. Ein kurzer Moment der Stille entstand und er konnte deutlich sehen, dass er schwer schluckte.
»Gabriel«, flüsterte er, fasste an seine Schultern und drückte sie leicht. Gabriel zuckte mit der rechten Schulter nach unten und sog zischend die Luft ein. Dann entwand er sich ihm.
»Bitte entschuldigt mich, Sire. Ich muss zu meinem Bruder.« 
Eilig steuerte er auf den Scheunenausgang zu.
»Gabriel!«, erklang seine kräftige und dennoch weiche Stimme fordernd. Des Dukes Berater trat auf den Plan.
»Was genau ist heute Nachmittag im Wald passiert? Und bitte auch den Teil, bei dem deine Schulter verletzt wurde.« Alexius konnte deutlich sehen, dass sich Gabriels Rücken straffte. Er dachte, dass er wortlos weiter gehen würde, doch dann ließ er den Kopf sinken und drehte sich herum. Monoton fing er an zu sprechen.
»Ich war im Wald unterwegs, um nach den Neuanpflanzungen der Kiefern zu schauen. Es kamen drei Männer und meinten, dass sie mich herausfordern müssen, und griffen mich an. Ich habe mich verteidigt und wurde dabei an der Schulter verletzt.«
Gabriel blickte ihn direkt an und der Ausdruck seiner Augen war hart wie das Schwert an seiner Seite. Er sah in alte Augen, dabei machte er keine Anstalten, älter zu sein als er selbst. Alexius trat wieder einen Schritt vor und breitete die Hände aus.
»Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Dennoch sollte dir klar sein, dass du dies dem Friedensrichter melden musst.«
Gabriels Stirn umwölkte sich und seine Mundwinkel zogen sich nach unten, dann trat er wieder auf Alexius zu und zog mit seiner linken Hand den Ausschnitt etwas tiefer. Zum Vorschein kam auf dem linken Schlüsselbein eine lange verblasste Narbe. Er konnte die Wut fast körperlich spüren.

© wintergoettin


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